Das Ende des Pragmatismus

Die Wahlen in drei deutschen Bundesländern haben das Land wach gerüttelt. Nicht nur Politiker, sondern auch eine große Zahl an Bürgern wacht in einer neuen Realität auf, endlich möchte man fast sagen. Zeit sich dieser neuen Wirklichkeit zu stellen – Ein Standpunkt

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Bis gestern hieß ein beliebtes Mantra, das Politiker – vor allem im linken Lager – den Bürgern zugerufen haben: „Wer nicht wählt, wählt rechts“. Die Überzeugung, die dahinter steht ist, dass unter den Nichtwählern vor allem enttäuschte Sozialdemokraten, klassische Konservative und im allgemeinen Demokraten zu finden sind, die ihre demokratischen Wünsche nicht mehr vertreten sehen. Seit gestern dürfen wir uns nicht mehr so sicher sein. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz hatten ein klares Ergebnis: Bei steigender Wahlbeteiligung kam die AfD in allen Ländern auf zweistellige Wahlergebnisse.

Hoffnungslosigkeit: Zu lange weggeschaut

So wie es aussieht, hat die Politik und die Mehrheit der Bürger zu lange weggeschaut, wenn es darum ging, aus welchem Grund sich die Menschen von der Politik abgewendet haben. Nichtwähler, das war ein Synonym für: Wohlstandsfauler Demokrat, ein Stigma mit dem es sich noch gut leben ließ. Doch was, wenn das alte Deutschland nach 1945 nicht einfach verschwunden ist, wenn die „Stunde Null“ für die Anti-Demokraten nicht das Ende bedeutet hat? Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele ehemalige NSDAP-Größen später Karriere in der Bundesrepublik gemacht haben. Heute fällt die Saat ihres Gedankenguts erneut auf fruchtbaren Boden, was bis vor Kurzem fast undenkbar schien. Doch im Schatten von Arbeitslosigkeit und der Suche nach einem emotionalen Gefühl von Heimat sind sie zurück: Die Geister der Vergangenheit.

Pragmatik: Bis dass der Tod uns scheidet

Emotionalität ist undemokratisch. Pragmatismus galt im vergangenen Jahrzehnt als Heilmittel gegen jedwede Form von Propaganda und Falschinformation. Egal welche politischen Extreme es zu bekämpfen galt, der Grundsatz hieß: Ruhige sachliche Argumentation sei der einzige Weg zurück auf den Boden der Demokratie. Diese Überzeugung ist nicht komplett falsch, aber den Weg der AfD in die Parlamente hat sie nicht aufgehalten. Es hat wahrlich nicht gemangelt an Argumenten, Grafiken, Reden und bissiger Satire. Es scheint, als hätte die Gesellschaft alle Register gezogen, doch das hat sie nicht.

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Wahlvideo von Walter Adam

Um zu begreifen, was die offene Flanke der Politik in unserem Land ist, lohnt ein Blick nach Bayern, genauer gesagt zur dortigen SPD. Der letzte Landesparteitag war mehr als nur politische Routine. Zum ersten Mal seit langer Zeit wurde der Parteivorsitz in einer Kampfabstimmung entschieden. Gegen den bisherigen Parteichef Florian Pronold trat ein weitgehend unbekannter Herausforderer aus Niederbayern an. Walter Adam errang aus dem Stand 31,7 % der Stimmen, Grund hierfür war neben einem professionellen Werbevideo und einem aktiven Unterstützerkreis, vor allem seine emotionale Art Politik zu definieren. Das Gefühl eine emotionale Heimat zu finden, bestimmte die Wahlentscheidung zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil.

Emotionen: Ein zweischneidiges Schwert

Herbert Wehner
Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen Herbert Wehner

In der Vergangenheit wurden Emotionen oft missbraucht, kein Diktator, der sie nicht genutzt hat. Doch nur, weil die demokratische Gesellschaft Gefühle aus ihrem Regelwerk verbannt, wird unser menschliches Bedürfnis nach emotionaler Identifikation nicht kleiner. Die große Zeit der Volksparteien war gekennzeichnet von emotional aufreibenden Führungsfiguren: Franz Joseph Strauß, Herbert Wehner. Bei all ihren Schwächen war ihre Stärke vor allem ihre mitreißende Art Politik zu kommunizieren. In einer Zeit, in der das Internet rohe Informationen im Übermaß transportiert, ist emotionale Bindung ums wichtiger. Wir entscheiden nie rein rational, sondern müssen eingestehen, dass Emotionen unser Handeln beeinflussen. Diese Erkenntnis erfordert Mut, sie ist aber unumgänglich. Für Politiker und Bürger muss klar sein: Die Wähler der AfD haben eine emotionale Entscheidung getroffen. Wollen wir sie von unserem Standpunkt überzeugen, müssen wir emotional argumentieren, auch wenn uns das im ersten Moment widerstrebt. Eine reife demokratische Gesellschaft muss auch mit emotional geführten Debatten umgehen, sie darf sich nicht realitätsfernem Wunschdenken hingeben.

Herbert Wehner im Bundestag

  • Von Sebastian Schug

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