Das Wartegleis der Hoffnung 

Wie ein syrisch-palästinensischer Flüchtling in Deutschland zum Ägypter wurde

Abdelrahman Almawed kam im Frühjahr 2015 nach Deutschland. Doch Flüchtling war er bereits seit seiner Geburt. Ein schwieriger Sonderfall für die deutschen Behörden der für Almawed Konsequenzen haben könnte. 

Der Tag ist schöner als erwartet. Der erste echte Frühlingstag in Deutschland: 15 Grad und Sonne. Abdelrahman Almawed sitzt im Gemeindehaus von Kleinrinderfeld im Landkreis Würzburg. Hier sind sein Sohn und er unter gekommen, nachdem sie Anfang Mai 2015 in Passau ankamen. Almawed ist unruhig. Fast ein Jahr lang wartet er nun schon auf seine Anerkennung als Flüchtling. Viel hat er auf sich genommen, viel aufgegeben, um hierher zu kommen mit dem Ziel, vor allem seine Söhne vor dem Dienst in der syrischen Armee zu retten. Hier und heute kann er nur noch warten, denn statt der erhofften schnellen Bearbeitung seines Asylersuchens, ist er in die Mühlen der deutschen Bürokratie geraten.

Der teure Weg in die Sicherheit

Voran gegangen war die Flucht aus Syrien, zusammen mit einem seiner Söhne. Zum damaligen Zeitpunkt im Frühjahr 2015 war dies noch weitaus gefährlicher als zuletzt. Auf die Flüchtenden warteten keine organisierten Auffanglager, nur Schmuggler, Betrüger und lange Fußmärsche durch die Länder des Balkans. Alamaweds Fluchtroute führte ihn durch die Türkei, per Schlauchboot auf die Insel Semi, weiter nach Athen und von dort an die albanische Grenze. Bis zu diesem Punkt hatte er bereits fast 2.500 € an Schmuggler und korrupte Polizisten gezahlt. Der Grenzübertritt nach Albanien kostete ihn weitere 1000 € pro Person und drei Anläufe. Auf Albanien folgten Montenegro, Ungarn, Österreich und Deutschland. Auf dem langen Weg wurde er mehrmals hinters Licht geführt, um tausende Euro betrogen und zurückgelassen. Als Abdelrahman Almawed schlussendlich in München ankommt, hat ihn die Flucht aus Syrien fast 9000 € gekostet. Die Hälfte des Geldes hatte er selbst aufbringen können, den Rest hatten ihm Freunde geliehen: Ein Darlehen für die Chance auf ein Leben in Frieden.

Zwischen den Stühlen

Abdelrahman Almawed wartet noch immer darauf, wirklich im Frieden anzukommen. Dass seine Anerkennung so schwierig ist, hat einen einfachen Grund, hinter dem sich eine komplizierte Geschichte verbirgt: Seine Familie ist aus rechtlicher Sicht staatenlos. Schon in Syrien war Almawed als ethnischer Palästinenser ein anerkannter Flüchtling. Obwohl er persönlich nie in Palästina gelebt hat, ist sein Leben bis heute eng mit der Geschichte der Palästinenser verbunden. Die Hintergründe ihrer Flucht zu verstehen, heißt Alamweds Problem zu verstehen. Nach dem Ende der britischen Mandatszeit für das damalige Palästina im Jahr 1948 und dem israelischen Unabhängigkeitskrieg, entstanden die Staaten Israel und Jordanien. Dieser Krieg war Ursache fьr die Flucht großer Teile der palästinensischen Bevölkerung nach Syrien. In der Hauptstadt Damaskus bildete sich ein Flüchtlingslager, das sich bis zum Beginn des derzeitigen Bürgerkrieges in Syrien zu einem Stadtteil gewandelt hat: Jarmuk – heute ein Trümmerfeld.

Zu den Flüchtenden gehörten auch Almaweds Eltern. Im Alter von fünf und zwölf Jahren kamen sie aus Palästina nach Syrien. Später emigrierten sie als Gastarbeiter nach Ägypten. Hier kam 1967 ihr Sohn Abdelrahman zur Welt: Geburtsort Kairo. Im Jahr 1972 kehrten die Eltern nach Syrien zurück. Almawed wuchs fortan in Jarmuk auf. Später lernte er dort auch seine heutige Frau kennen. Doch Syrien blieb nicht ihr einziger gemeinsamer Wohnort, das Paar zog nach Zypern. Dort kamen ihre drei Kinder zur Welt: Geburtsort Nikosia. Zu jedem Wegpunkt seines Lebens gibt es ein Dokument, er breitet sie auf dem Tisch aus, er holt sie hervor, zeigt sei, will dass man sie ganz genau ansieht. Fast wirkt er, als ob hätte man würde ihn für einen Lügner halten. In der Luft liegt ein Hauch von Verzweiflung und Tragik der man sich kaum entziehen kann. Fast möchte man sagen, die Entwurzelung der Palästinenser spiegelt sich in seinen Erzählungen wider.

Verwaltetes Schicksal

Doch für Tragik kennt die kühle Logik des Asylrechts keinen passenden Paragraphen. Die deutsche Bürokratie kämpft mit der Masse der Asylanträge und versucht, Ordnung in die Unordnung zu bringen. Scheinbar schlechte Aussichten für zeitaufwändige Sonderfälle. Für das Bundesamt für Migration ist Alamwed aufgrund des Geburtslands erst potentieller Ägypter, dann Staatenloser. Da er weder einen regulären syrischen Pass besitzt, noch eine Staatsangehörigkeit in seinen syrischen Dokumenten eingetragen ist, fällt er durch alle Raster. Doch ist seine Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien deshalb eine Flucht zweiter Klasse?

Almawed fürchtet, dass er nicht als syrischer Flüchtling anerkannt wird, dass die tragische Situation in der sich die Palästinenser seit Jahrzehnten befinden, auch für ihn schlimme Konsequenzen haben wird. Dabei denkt er nicht an sich, sondern an seinen Sohn in Syrien. Almawed hat drei Kinder, zwei Söhne – Zwillinge – und eine Tochter. Er sagt: „Ich wollte nicht mich in Sicherheit bringen, sondern meine Familie. Ich habe mich selbst in Gefahr begeben, um meine Familie zu retten.“ Einer seiner Söhne begleitete ihn nach Deutschland, der andere blieb bei seiner Mutter. Die Söhne werden bald 17. Selbst wenn er anerkannt wird, kann es danach noch bis zu zwölf Monate dauern, bis er seine restliche Familie nachholen kann. Dann könnte es jedoch bereits zu spät sein. Seine große Angst ist, dass er seinen Sohn nach dem 18 Lebensjahr nicht mehr nach Deutschland holen kann und dieser dann  zur syrischen Armee eingezogen wird. Alles was er bisher auf sich genommen hat, verliert dann ein Stück weit seinen Sinn. Almawed sagt: „Ich bin nicht in der Position, mich zu beschweren.“ Dabei schaut er sein gegenüber bestimmt an, er ist sich seiner Situation als Hilfsbedürftiger mehr als bewusst. In Syrien besaß er drei Häuser, er hatte ein gutes Leben. Dann kam der Krieg, heute liegt sein altes Leben in Trümmern. Seine Familie ist ihm als Einziges geblieben, sie will er um jeden Preis schützen. Dieses Ziel erfordert Geduld, es kostet Zeit, doch weder das Eine noch das Andere ist ihm geblieben. Man hört es wenn er redet, schnell und ohne Pause reiht er seine Sätze aneinander. Es scheint als wolle er so alles beschleunigen, gegen die Ungewissheit anreden.

Hilfe auf dem Weg zum Ziel 

Allein wäre Alamwed in dieser Situation verloren. Er braucht Unterstützung um sich zwischen den Paragraphen und den ständig fließenden Zuständigkeiten zurecht zu finden. Hilfe bekommt er von Bernd Klumpp. Der pensionierte Lehrer unterstützte Almawed Anfangs beim Deutsch lernen, inzwischen auch bei der Korrespondenz mit den Behörden. Heute sitzt er gemeinsam mit ihm am Tisch, ab und an ergänzt er Almaweds Erzählungen. Ohne Klumpps ehrenamtliche Hilfe bestünde für den Syrer kaum Hoffnung. Die erfolgreiche Anerkennung seines mit eingereisten minderjährigen Sohnes war der erste Lichtblick, sagt Klumpp. Doch auch dies entpuppte sich als zweischneidiges Schwert. Als minderjähriger Flüchtling wurde er zwar bevorzugt behandelt, doch da sich sein Vater bereits in Deutschland aufhält, kann auch er weder seine Mutter noch die Geschwister nach Deutschland holen. Klumpp hat diese besondere Situation veranlasst, sich Almaweds Sache anzunehmen. Er schreibt für ihn Briefe, übersetzt und begleitet ihn bei Behördengängen. Auch beim ersehnten Termin bei der Ausländerbehörde in Zirndorf Ende April wird Klumpp dabei sein. Beiden ist bewusst, dass die Mühlen der Bürokratie langsam, aber stetig mahlen. Bis seine Familie in Sicherheit ist, wird Almawed weiter warten und hoffen.

  • Von Sebastian Schug

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